R E I S E   Z U M   B Ü F F E L

 


 

Zwischen dem Büffel, seinem Geist und dem Menschen gibt es ein unsichtbares Band,

eine tiefe Verwandtschaft, in Liebe, in Respekt, Verehrung und Dankbarkeit.

 


 

Schamanische Reise zum Totem des Nordens: BÜFFEL

Ich frage mich, ob ich hier den Raben treffe, wird er mein Totem im Norden sein? Ich wünsche es mir sehr.

Die Wölfe empfangen mich gleich hinter dem Tunneleingang. Sie lecken mein Gesicht, küssen mich, wir tauschen unseren Speichel aus. Dann nehmen sie mich in ihre Mitte und wandern mit mir ein Stück. Es ist eine seltsam ehrfürchtige Atmosphäre, in der wir dort einherschreiten. Ich soll die Augen schließen, ist die Botschaft der Wölfe. Dann bleiben wir stehen, sie bitten mich, meine Augen nun zu öffnen. Ich öffne also die Augen – und vor uns steht der Büffel, groß und mächtig, ruhig und voller Würde. Die Wölfe scheinen gespannt zu sein, was ich sage, wie ich das finde! Ich bin tief bewegt von diesem Geschenk.

„Ruhe. Sicherheit. Konzentration. Besinnung. Ich, der Büffel, bin dein Kraft-Pol.“

 

Ich bedanke mich bei dem Büffel, bei meinen Wölfen. Ich bin voll von Dankbarkeit und Zuversicht.

 


12. MAI 2016   |   FRANKFURT - WIEN

Alles ist gepackt für die nächsten sechs Tage. Um 11:50 Uhr geht mein Flieger nach Wien. Die Start- und Landebahnen vor den bodentiefen Fenstern sind in ein Tiefgrau getaucht, es nieselt. Eine gute Stunde später hebt die Maschine in dichtem Regen ab. Die Stewardessen reichen ein appetitliches Sandwich mit geräuchertem Lachs auf einem weichen Bett aus Meerrettichcreme, dazu nehme ich Tee mit viel Zucker und einen Tomatensaft mit Salz und Pfeffer. Kurze Zeit später geht das Flugzeug schon wieder in den Landeanflug. Ich lese in dem Kapitel Phänomenologie des Schamanismus von Schneider, über die außergewöhnlich vielfältigen und gleichsam anspruchsvollen Aufgaben eines Schamanen sowie seiner Fähigkeit zur rituellen Ekstase. Es fasziniert mich, Schamanismus fasziniert mich, schon viele Jahre. Dennoch frage ich mich, wie jemand, der aus dieser Tradition nicht stammt, der keinem Clan zugehört, all das auch nur ansatzweise jemals beherrschen könnte?

 

 

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"MEIN BRUDER IST SCHAMANE"

Und doch - bin ich dort angeknüpft, seit jenem Abend in einem Lokal, es war Ende der Neunziger Jahre oder ein wenig später, als ich einen jungen Mann kennenlernte. Unser Gespräch hatte kaum begonnen, da sagte er plötzlich und unvermittelt, durch die laute Musik um uns, mir direkt ins Gesicht: "Mein Bruder ist Schamane."  Ich war überrascht. Voller Fragen. Dieser Satz ... ein Manifest. Etwas in diesem Satz berührte mein Herz. Es war dieser aufrichtige, unverfälschte, eher kindliche Stolz, in dem er gesagt worden war, ich blickte auf die roten Wangen des jungen Mannes, schaute in seine weit geöffneten Augen. Ich sah und spürte: Da war aufrichtige Verehrung im Herzen des jüngeren Bruders seinem älteren Bruder gegenüber. Verehrung und Liebe. Erwartung und Hoffnung. Die Hoffnung auch, es mit jemandem, mir, teilen zu können, das Faszinierende daran und - auch seine Fassungslosigkeit darüber. Diese Fassungslosigkeit über diese ganz und gar fremdartige, unerklärliche, auch unerhörte und sicher unerlaubte, eigenmächtige und dennoch durch fremde Mächte gewollte und beeinflusste Entscheidung des Bruders. Die Frage, was das eigentlich war: Ein Schamane. Was war das, das all diese Gefühle, Fragen, Unwägbarkeiten und doch vollkommene Sicherheit des Wunderbaren, in einem, in zwei Menschen, die sich nicht kannten, auslösen konnte?

 

Mein Bruder ist Schamane. Dieser Satz hallt auch nach so vielen Jahren gelegentlich durch mich hindurch. Verheißung. Geheimnis. Stimme aus der Vergangenheit, Ruf aus der Zukunft. Ein starkes Seil, das, damals ausgeworfen, sich an mich knüpfte und an mir zieht. Unerklärlich. Verheißungsvoll. Mich mit Erwartung erfüllend. Ich schaue das Buch, das Kapitel auf meinen Knien. Phänomenologie des Schamanismus.

 

Ich betrachte die riesigen Wolkenberge, die wir durchfliegen, durch die wir fallen und welche uns wieder aufheben. In Wien ist es so verregnet wie in Frankfurt, es ist windig und kühl. In den nächsten Tagen soll es einen weiteren Temperatursturz geben, der mich frösteln lässt. Das Flugzeug leert sich, ich warte, dann laufe ich über die Landebahn und erreiche gerade noch den überfüllten Bus, der uns zum Terminal bringt. Ich hole meinen Koffer, steige in ein Taxi und fahre zum Seminarort.

 

 

 

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DER FLUSS HAT EINEN WILLEN

Wiesen, Wald und grüne Berghügel umsäumen den kleinen Ort im Wienerwald. Eine Hauptstraße führt durch winzige Ortskerne und wieder hinaus, schließlich bin ich am Hotel zur Post. Zimmer 26.

 

Der Gebirgsfluss ist für mich das Bestimmende hier. Sein Strombett bildet einen tiefen Graben durch Wald und Wiesen, trennt Felder und Wege und vereint doch alles miteinander durch sein Rauschen. Es ist ein unablässiges, forderndes, lautes Rauschen, es dominiert Landschaft, Luft und Atmosphäre, mich. Ich höre es von dem ersten Moment meines Hierseins bis zu meiner Abreise, ja darüber hinaus in meinen Ohren, empfange es tief im Innern. Der Fluss sprudelt über findlingsgroßes vielfältiges Gestein in seinem Bett. Von meinem Balkon aus schaue ich direkt auf ihn, in ihn hinein, erkenne jeden Stein und jede Pflanze. Folge seinem Getöse, seiner unaufhaltsamen Geschäftigkeit. Er fließt direkt an unserem Hotel vorbei, unter dessen Speisesaal hindurch. Alles ist erfüllt von seinem Fluten. Ich lehne mich über die schweren Balken des Geländers aus dunklem Holz und lasse mich durchströmen von der eiskalten Klarheit dieses Wassers, lasse alles Angestaute in mir wegtragen, ich lasse los. Ich spüre die zielorientierte konzentrierte Kraft dieses Wassers. Diese Kraft dringt in meine Zellen, meine Seele. Der Fluss hat einen Willen.

 

 

 

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DER BÜFFELGEIST

Die Steine dort unten im Fluss haben Gesichter. Alle Steine haben Gesichter, manche offenbaren sich nur nicht sofort. Ich sehe das Profil eines Indianers, es schaut ein Stückweit heraus, gelehnt über das schwere Holzgeländer sehe ich die Adlernase, das markante Kinn, das flache Gesicht.

 

Daneben erkenne ich einen Büffelkopf, Moose sitzen wie krauses Büffelhaar oberhalb der steinigen Stirn. Und mir fällt wieder ein, was ich vor einigen Tagen morgens auf einer schamanischen Reise gesehen hatte: Ich befand mich schon in einer leichten Trance, als plötzlich ein großer Büffelkopf auftauchte, er schwebte oberhalb meines Gesichtsfeldes vor mir in der Luft. Ich erlebte mich nicht mehr in meinem Bett liegend, sondern stand in einer Graslandschaft, einer Prärie, umgeben von einer großen Herde von Büffeln. Sie standen überall um mich herum, grasten friedlich miteinander, bewegten sich ruhig über die Ebene, ich hörte ihr Schnaufen.

 

Der Geist des Büffels hingegen, der als Büffelkopf strahlend in einer Art Sonne über mir schwebte, war still und groß, mächtig und kraftvoll, er sprach nicht, aber ich fühlte, dass ich gemeint war. Heiterkeit, Gewissheit und auch Glück durchströmten mich. Ich fühlte mich einen Moment lang auserwählt.

 

Als ich aus dem schamanischen Bewusstseinszustand wieder hervorkam, um aufzustehen, erinnerte ich mich an einen Traum, den ich ungefähr drei Jahren zuvor gehabt hatte:

Ich stand in einem nebligen Garten zu sehr früher Morgenstunde, der Nebel war so dicht und feucht und triefendschwer, dass ich nichts erkennen konnte. Es war fast unheimlich, und neben dem Gartenhäuschen, im Gebüsch, bewegte sich etwas Rätselhaftes, Raschelndes … Plötzlich stürmte es heraus…, prallte an mich, knuffte mich. Im weißen Nebel erkannte ich dicht vor mir einen kleinen, noch sehr jungen Bison. Ich wunderte mich im Traum, wie dieses Tier in meinen Garten gelangen konnte. Es wirkte ungelenk und war von seltsamer Gestalt. Dennoch schien es gesund, es sprang verspielt umher und berührte mich immer wieder mit seinem Maul, forderte mich auf, mit ihm umherzutollen. Ich weiß noch sehr genau, dass ich dieses seltsame Wesen bildhaft mit meiner damaligen persönlichen Situation in Beziehung setzte. Ich befand mich zu jener Zeit in einer seltsamen Zwischenwelt, hatte durch den erzwungenen beruflichen Ortswechsel noch nicht wirklich Fuß gefasst in der neuen Umgebung, zumal ich jeden Tag zwischen zwei Städten umherpendelte und dabei drei Bundesländer durchquerte. Dennoch gab es eine sonderbare Quelle, die mich immer wieder mit spiritueller Kraft nährte und mich die körperlichen und seelischen Strapazen recht gut durchstehen ließ.

 

In der Folge hatte ich immer wieder Kontakt zu dem Büffel. Gelegentlich kam er in einer der Vision Quest Karten, einer Art indianischem Tarocchi, oder einer Krafttierkarte, die ich zog, zu mir und verwies auf Sicherheit und einen gewissen Wohlstand in meinem Leben. Ich nahm das ernst und vertraute darauf.

 

Und nun, drei Jahre später, war mir der Büffel in einer geistigen Vision erschienen, kurz vor dem Beginn meiner schamanischen Ausbildung. Ich nenne es Vision, weil sein Erscheinen und die von mir erlebte Form und Größe seines Auftretens für mich ein spirituelles Erlebnis war. Ich hatte auf meiner geistigen Reise jemanden anders treffen wollen, aber der Büffelgeist hatte sich dazwischengeschaltet. Er hatte sich entschieden, zu mir zu kommen, fand ich. Er hatte sich ohne mein Wollen oder Suchen dazwischengeschoben, und mein Geistkörper befand sich plötzlich inmitten einer Büffelherde. Es fühlte sich wirklich und echt an. Und meine Begeisterung für diese Urwesen und meine Anbetung waren echt. Ich dachte später: Das ungelenke, verspielte Bisonkind hat sich nun zu einem erwachsenen Büffel entwickelt. Ich selbst hatte mich im Laufe der drei Jahre, die dem Traum-Geschehen folgten, verändert, mein Leben fühlte sich stabiler an, ich ging meinen Weg zielorientiert, ich hatte mich in der neuen Umgebung längst etabliert, hatte ein dort ein Haus und pendelte nicht mehr. Und Unterstützung erbat ich gelegentlich von meinen spirituellen Begleitern.

 

Diese Vision war eine Botschaft, so empfand ich es, der Büffelgeist Überbringer einer Nachricht aus der nahen Zukunft. Als ich nämlich am nächsten Tag ins Internet schaute, um mir einen Eindruck von dem Seminarhotel in Österreich und der Umgebung dort zu verschaffen, fand ich eine Website von einer Büffelfarm, nur drei Kilometer von meinem Seminarort entfernt. Ich war elektrisiert: Büffel in Österreich! Als ich die Website-Fotos von diesen wunderbaren und dort in der Natur lebenden Urtieren sah, wie sie auf den weiten Hangwiesen standen und grasten, war mir klar, dass ich dorthin fahren würde. Ich wollte sie unbedingt besuchen und leibhaftig sehen. Ich wollte diese geistige Vision in meine Wirklichkeit holen. Und diesen Wunsch und Vorsatz spüre ich auch nun wieder, hier auf dem Balkon im Hotel Zur Post im Zimmer 26 im Mai 2016 mit Blick auf den wildwasserumtosten Büffelstein.

 

 

 

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BERG- UND FLUSSGEIST

Nachdem ich ausgepackt habe, mache ich einen Spaziergang. Das Uferbett des Gebirgsbachs ist recht tief, das Wasser zumindest heute erstaunlich flach, ich klettere vorsichtig die großen Befestigungssteine hinunter zum perlenden Wassersaum. Schaue von dort direkt zu meinem schönen Balkon hinauf. Ich bin wieder Kind, ein kleines Mädchen, das zu Abenteuern und Streichen aufgelegt ist, das spielen möchte in der Natur, im Wasser plantschen, Steine, Muscheln und Hölzer als seine Heiligtümer sammelnd.

 

Die vom Balkon aus zuvor entdeckten Indianerstein und Büffelstein sind riesig, zu groß und zu schwer, um sie in die Hand zu nehmen. Tatsächlich leuchtet mir aber ein anderer, handtellergroßer Stein entgegen, er hat eine sehr helle Furche, die durch ein dunkles Anthrazit führt. Er leuchtet so intensiv aus dem Wasser heraus, dass ich neugierig werde. Um ihn aus der Nähe zu betrachten, steige ich auf die wasserumspülten glitschigen Steine, hocke mich mitten im Fluss hin und fische das Objekt und zwei weitere Steine, die irgendwie zu ihm zu gehören scheinen, vorsichtig mit meinem leicht geöffneten Regenschirm heraus.

 

Der Stein mit der Furche ist schwer, sein Aussehen gleicht einem Felsmassiv in Miniatur, seine diagonal verlaufende, schluchtenartige Einkerbung wirkt wie eine Felsenterrasse. Dann erkenne ich das Gesicht des Steines: es ist das eines gütigen Berggeists. Er lächelt. Er trägt eine knuffige dicke Nase in seinem bärtigen Gesicht. Die beiden anderen Steine kann ich noch nicht entziffern. Als ich meinen Weg fortsetze, um die Gegend weiter zu erkunden, schaue ich immer wieder diesen Fund an, wiege ihn in meinen Händen, und plötzlich habe ich das Gefühl, neue Freunde gefunden zu haben. Steinfreunde. 

 

Ich folge dem langen Flusslauf und finde weitere vielfältige Steinformationen an seinen Rändern. Riesige Steine, findlingsgroßes massives Gestein, das einfach dort liegt, die Zeit verstreichen lässt, vom wilden Wasser umflutet. Diese Steine machen auf mich den Eindruck, als würden sie dieses Fluten und Rauschen genießen, ganz so wie ich. Sie liegen dort, schauen heraus mit ihren klugen, wissenden Antlitzen und lassen sich umströmen vom Strom des Lebens. Zeit ist kein Maß für sie. Arbeit ist kein Maß für sie. Veränderungen kümmern sie nicht. Gleichwohl wirken sie nicht desinteressiert auf mich, sie sehen mich an aus ihren Tausenden oder Hunderttausenden oder Millionen Jahre alten Augen, wer kennt schon ihr Alter; wir schenken einander Aufmerksamkeit. Sie lächeln zurück, lassen es geschehen, lassen mich weiterziehen, wie das Wasser weiterzieht. Wohin zieht es? Wohin zieht es mich? Ich bin ganz benommen von dieser Zeitlosigkeit, die mich in sich aufnimmt und mit sich fortträgt.

 

Später, in der kleinen Gaststube des Hotels, bestelle ich ein Kännchen Tee und ein Stück Kuchen und nehme beides mit auf mein Zimmer, setze mich auf den schönen Balkon, lausche den Geschichten des Flusses unter mir. Gegenüber liegt ein kleines Gehöft, ein Haus aus Stein, mit einem Rasen, einer Scheune, hohen dunklen Tannen, tiefem Grün, Rauschen, Flüstern. Eine alte Katze hockt auf der Treppe, späht hinaus, leckt sich das Pfötchen. Idyllisch. Ich mache ein paar Fotos. Und als ich in aller Herrgotts Frühe am nächsten Morgen wieder auf den kühlen Balkon trete, ist das Gehöft bereits zum vollen Leben erwacht. Eine seltsame, anmutige Szenerie: Das seitliche Scheunentor steht offen, ein orangefarbenes warmes Licht tritt heraus in die neblige, fast gischterfüllte Dunkelheit. Eine hünenhafte Gestalt bewegt sich träge durch Heuballen und Gerät. Die Katze kann ich nirgends sehen. Vielleicht zieht sie heute Morgen einen warmen Platz am Ofen vor. Dicke Tropfen fallen vom Himmel, Nebel schleiert durch die Tannen und Gräser, der Gebirgsbach ist zu einem echten Fluss angeschwollen und steht so hoch, dass kein Stein mehr aus den Fluten reicht. Er tost gewaltig. Und wieder spüre ich die eigenartige Dominanz dieses Wasserwesens.

 

Noch im selben Jahr, nur wenige Monate später bei meinem zweiten Besuch hier, wird der Fluss von meinem Blut trinken, und wir schließen eine Art Blutsbund.

 

Die mitgebrachten Steine stelle ich auf das breite Geländer. Der Berggeist lächelt zufrieden. Die Furche ist zerklüftet wie in einem richtigen Bergmassiv, bildet eine Art überdachte Terrasse. In Gedanken klettere ich hinein, setze mich, ruhe aus, atme kühle frische Bergluft, schaue in die Landschaft, bewundere die Gipfel um mich, die aus den Wolken kommen.

 

 

 

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17. MAI 2016  |  REALE BEGEGNUNG MIT DEM BÜFFEL

Die anderen Teilnehmer des ersten schamanischen Moduls wollen ebenfalls die Büffel sehen. Um 17.00 Uhr treffen wir uns auf dem Parkplatz gegenüber dem Seminarhotel. Wir fahren auf einer schmalen Landstraße, die serpentinenartig durch waldiges Gebiet führt. Ich schaue aus dem Fenster, Sonne und Schatten wechseln, und ich bin so unglaublich gespannt, was uns dort auf der Büffelfarm erwartet. Wir biegen links in einen unscheinbaren Waldweg ein, der nach kurzer Fahrt in einem ausgedehnten Gelände mit Gehöft, Garten und weiten umliegenden Hangwiesen endet. Empfangen werden wir von einem ungewöhnlich großen haarigen Hofhund, der gutgelaunt und gastfreundlich ist, jeden einzeln begrüßt und sich auch kraulen lässt, ohne jedoch seine Selbstbestimmtheit zu verlieren. Kein Zweifel, dieses außergewöhnliche Hundewesen fühlt sich wohl in seiner Haut, er ist der zweite Herr auf diesem Grund und Boden. Der erste Herr und Eigentümer dieses Anwesens begrüßt uns ebenfalls freundlich und gibt jedem die Hand, er ist ein junger Landwirt und Geschäftsmann, er strahlt Autarkie und Erfolg aus.

 

 

 

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UR-WELT-BÜFFEL

Unsere Gruppe stapft über eine ansteigende Wiese, rechts in der Ferne ragen drei hohe dunkelgrüne Berghügel in spätnachmittäglicher Sonne auf, ich bin tief berührt von diesem Anblick und denke nur: Magisch.

 

Ein magischer Anblick. Die Berge in der tiefer stehenden Sonne rufen zu mir aus einer fernen unbekannten Welt. Und dann – erblicke ich die Büffelherde! Die Büffel stehen einträchtig und ruhig, dicht beieinander gesellt unter einem riesigen zentralen Baum, in getrocknet zertrampeltem hellgrauem Matsch, ihrem Schlafplatz, wie wir erfahren; hinter ihnen dichter Laubwald. Die Tiere haben freien Zugang zu einer riesigen Hangwiese. Wir sind nur durch dünne Bänder, die in großen Abständen um Pfähle gewickelt sind, von der Herde getrennt.

 

Ich betrachte ihre Gesichter, liebevolle treue aufrichtige Antlitze mit nachdenklichen ruhigen und besonnenen Augen. Schöne große starke Wesen einer eigentlich untergegangenen Welt, einer Urwelt, die hier im bergigen Abseits, mehr verborgen, aber noch weiter existiert. Jedes dieser wundervollen Wesen hat einen ganz eigenen charakteristischen Ausdruck, ihre Köpfe sind so individuell wie die von Menschen. Kälbchen sind auch darunter, sie stehen dicht bei ihren Müttern, fürchten sich etwas vor dieser fremden Menschengruppe, die an den Zaunbändern steht und interessiert wie erstaunt zu ihnen hinübersieht.

 

 

 

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DER LEITBULLE

In unmittelbarer Nähe zu den anderen und dennoch sichtbar immer ein kleines Stückweit abgesondert, steht der größte dieser Büffel. Es ist der Leitbulle. Ja, er ist es, unverkennbar, er strahlt Erhabenheit, Wissen und Dominanz aus. Er ist der mächtige Anführer und anerkannte Herrscher, die Mitglieder dieser Herde respektieren und fürchten ihn, das kann ich an ihrer Haltung erkennen. In Erinnerung an meine Büffel-Vision nehme ich Blickkontakt zu ihm auf. Ich bin voll der Bewunderung für diesen stolzen Bullen, ich spüre körperlich seine Kraft, seinen Willen, seinen Anspruch und sein Vermögen zu führen und zu herrschen. Ich habe Achtung vor ihm. Ich schaue in seine Augen. Er sieht mich auch, denke ich.

 

Der Eigentümer, der uns begleitet, informiert über die Zucht und beantwortet Fragen zur Bestellung von Bisonfleisch. Er erklärt, wie pro Saison circa sieben oder acht Tiere, jeweils circa eine Tonne schwer, abgesondert von der Herde betäubt, getötet und geschlachtet werden, wieviel ihr Fleisch kostet. Ich mag das nicht wirklich hören, wende mich ab und gehe an den Bändern entlang, die im Wind zittern, schaue auf die magischen drei smaragdgrünen Hügel; es ist früher Abend, Sonnenuntergang, und es wird kühler. Gedankenversunken bin ich, gehe Schritt um Schritt über die Weide in Richtung der riesigen Hangwiese, dann drehe ich mich zur Seite und … bin erschrocken… Büffel stehen dicht neben mir an der Begrenzung, sehen mich an. Verblüfft schaue ich zurück, und dann zu meiner Gruppe weiter hinten, kein einziger Büffel steht mehr dort bei ihnen, die ganze Herde ist mit mir mitgezogen, am Zaun entlang, tonlos, geräuschlos, sie steht genau neben mir, wir schauen einander an, nur getrennt durch das flatternde weiße Band.

 

 

 

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AUFRICHTIGES GEFÜHL DER LIEBE FÜR DIE URWELTWESEN

In diesem Moment ist es um mich geschehen, mein Herz öffnet sich weit, ich schließe diese fremdartigen Urweltwesen tief ein in mein Herz, ich bin so unendlich gerührt. Ich sehe die Kälbchen und ihre Mütter, den Leitbullen, diese Manifestation von urgewaltiger Kraft, und ich spüre Liebe. Ich sehe in ihre Augen, sehe in seine Augen, sie tragen das kosmische Wissen von Millionen Erdjahren in sich, und ich weiß: Da ist ganz unerwartet eine Verbindung entstanden, zwischen ihnen und mir, zwischen ihm und mir, zwischen Tierwesen und Mensch, ein gegenseitiger Blick in die Seele. Unser schamanischer Lehrer, der sonst sehr zurückhaltend ist und selten ein privates Wort an uns richtet, tritt zu mir, er scheint auch bewegt, fragt vorsichtig:

 

„Hast du dir das so vorgestellt, in deinem Traum?“

„Ja, genau so.“ antworte ich. „Aber es war kein Traum, es war eine Vision. Der Büffelgeist war zu mir gekommen in einer Vision. Und  ein Teil davon hat sich jetzt erfüllt.“  Ich bin wie in Trance.

 

 

 

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DER GLEICHMUT DER BÜFFELWESEN

Ich sehe aber auch das Leid und Leiden dieser Tiere, die ihre Freiheit an den Menschen verloren haben. Sie dürfen eine bemessene Zeit leben und werden dann zum Sterben gerufen, zerstückt und für gutes Geld verkauft. Ich spüre die Tragik dieses eingezäunten Daseins; es ist die Erlaubnis, abgezählte Stunden zu leben im Dienst der Bedürfnisse des Menschen. Liebe, Mitgefühl, Schwere, Traurigkeit erlebe ich jetzt in mir. Ergriffenheit. Alles zusammen. Und: Ich sehe und spüre, dass diese Büffelwesen alles mit Gleichmut tragen.

 

Die Menschengruppe bewegt sich nun in unsere Richtung, und ich gehe noch ein Stück weiter, der großen Hangwiese entgegen. Ich möchte mit den Tieren allein sein.

 

 

 

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DER BÜFFEL TANZT DEN BÜFFELTANZ

Und dann geschieht etwas, das ich nie vergessen werde: Ich gehe ein Stück weiter in Richtung Hangwiese, und der Leitbulle geht mit. Er trennt sich von seiner Herde, die respektvoll zurückbleibt. Wir schauen einander an, haben Blickkontakt. Er schreitet durch das Gatter in Richtung der großen Hangwiese, dreht sich zu mir um, wartet einen Moment. Ich denke: Er fragt dich, ob du mitkommst.  Aber ich habe Angst. Ich kann doch nicht einfach die Begrenzung durchbrechen und mit dem Büffel gehen. - Da setzt er sich in Bewegung und galoppiert ein Stückweit in die Hangwiese hinein, schaut nochmals zurück - und beginnt, sich in wilden Sprüngen im Galopp zu drehen. Und ich denke: Er fordert dich zum Tanz auf...

 

Ich beginne zu zittern und höre auch lange nicht auf damit. Ja, es ist mittlerweile windig und kalt hier zwischen den abendlichen Berghügeln, aber ich bin tief in meinem Innern angerührt, getroffen, aufgewühlt. Der Büffel tanzt den Büffeltanz. 

 

Ich, außerhalb der Zeit. Zitternd im Wind. Der große Büffel durchmisst die Weite der Hangwiese. Reitet, galoppiert, springt, dreht sich. Dann, irgendwann später, bleibt er stehen, beginnt zu grasen. Und seine Herde, die Büffelherde mit Büffel-Frau, Töchtern, Söhnen, rückt langsam nach. Eher zaghaft, vorsichtig und sehr respektvoll betreten nun auch sie den Hang. Ich komme näher an die Begrenzungsbänder heran, spreche mit den edlen Tierwesen. Ein Büffel mit besonders schönem, wie ich finde femininem Antlitz, es scheint die Frau des Leitbullen, scharrt mit den Vorderhufen, wirft sich auf den Boden, sielt sich, andere tun es ihr nach. Ich fürchte mich etwas, mache es aber genauso, um meine Verbundenheit zu zeigen, ihnen zu antworten. Es fühlt sich gut und fremd an, scharrend, als Menschenwesen, und auf dem Boden liegend, sich hin und her wiegend und werfend. Der Bulle ist weit im Hang, beobachtet unser Treiben, bleibt wo er ist.

 

 

 

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Abschied und das Glück des Büffel-Hundes

Schwer nur kann ich mich lösen, immer wieder nähere ich mich der Herde, nachdem ich mich schon entfernt hatte, um endlich wieder zu meiner eigenen Gruppe, der Menschengruppe, zu stoßen, die mich an einem unsichtbaren Faden hält und an mir zieht.

 

So geht das einige Zeit, und es irritiert die Tiere, das sehe ich. So verabschiede ich mich endgültig von ihnen und ziehe mich zurück, laufe die steile Wiese zum Gehöft hinunter und komme durchfroren in den Verkaufsraum, wo mich der Hofhund freudig in Empfang nimmt und sich ausgiebig kraulen lässt. Erst jetzt sehe ich: Es ist ein Büffelhund. Er passt genau hierher. Er ist riesig, kraftvoll, zottelig, hat einen riesigen Kopf. Und er ist freundlich, den Menschen zugewandt. Hier ist sein Ort. Er weiß das, daher ist er auch so wohlgelaunt und entspannt, so selbstsicher. Dies hier ist sein Lebensraum, sein Platz im Leben. Er hat Glück, denke ich, es gibt auch unter den Menschen nicht so viele, die das von sich sagen können.

 

 

 

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EIN ÜBRIG GEBLIEBENES BÜFFELHORN

Gerade werden Büffelhörner angeboten, die ersten kaufen welche. Ich scheue mich, das ist Verrat. Später bleibt ein Horn übrig, es ist ein schönes, wohlgeformtes Horn. Ich denke: Damit kannst du diese besondere Verbindung aufrechterhalten. Es liegt für dich da, nimm es! Ich nehme es, mit schlechtem Gewissen. Ich höre, dass man es schleifen und auf Hochglanz putzen kann. Ich will es so, wie es ist.

 

 

 

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SCHAMANISCHE REISE ZUM TOTEM DES NORDENS

Im Seminarraum, auf der schamanischen Reise zum Totem des Nordens, empfangen mich die Wölfe gleich hinter dem Tunneleingang. Sie lecken mein Gesicht, küssen mich, wir tauschen unseren Speichel aus. Dann nehmen sie mich in ihre Mitte und gehen mit mir ein Stück. Es ist eine seltsam ehrfürchtige Atmosphäre, in der wir dort einherschreiten. Ich soll die Augen schließen, ist die Botschaft der Wölfe. Dann bleiben wir stehen; sie bitten mich, meine Augen nun zu öffnen. Ich öffne also die Augen – und vor uns steht der Büffel, groß und mächtig, ruhig und voller Würde. Die Wölfe scheinen gespannt zu sein, was ich sage, wie ich das finde! Ich bin tief bewegt von diesem Geschenk.

 

Ohne Worte mich lässt  der Große Büffel seine Botschaft wissen:  

„Ruhe. Sicherheit. Konzentration. Besinnung. Ich, der Büffel, bin dein Kraft-Pol.“

 

Ich bedanke mich bei dem Büffel, bei meinen Wölfen. Ich bin voll von Dankbarkeit und Zuversicht.

 

 

 

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DAS GESCHENK DES BÜFFELS AN DIE MENSCHEN

Der Büffel war die Lebensgrundlage der Ureinwohner Amerikas, der Indianer. Sie haben den Büffel in großer Dankbarkeit verehrt. In Tänzen und Gebeten haben sie nach ihm gerufen, ihn gesucht. Er hat geantwortet, sich finden lassen, sich ihnen geschenkt. In und mit ihnen lebt er in den Ewigen Jagdgründen weiter.

 

Nach diesem Erlebnis kann ich nachspüren, erleben, spüren, dass es wahr ist. Zwischen dem Büffel, seinem Geist und dem Menschen gibt es ein unsichtbares Band, eine tiefe Verwandtschaft, in Liebe, in Respekt, Verehrung und Dankbarkeit.

 

 

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